Botulinumtoxin – bei welchen Erkrankungen kann es helfen?

Botulinumtoxin A (Abkürzung: BoNT) ist ein bewährtes Medikament, das gezielt in winzigen Mengen in bestimmte Muskeln oder Drüsen gespritzt wird. Dort blockiert es vorübergehend die Signalübertragung von Nerven und kann so helfen, überaktive Muskeln oder Funktionen zu beruhigen. Die Wirkung ist lokal begrenzt – das heißt, BoNT wirkt nur an der Stelle, an der es gespritzt wurde.

In Deutschland ist BoNT für die Behandlung einer Reihe von Erkrankungen offiziell zugelassen, bei weiteren kann es in gut begründeten Fällen ebenfalls eingesetzt („off-label“) werden. Hier erfahren Sie, bei welchen Erkrankungen BoNT helfen kann – und was Sie als Patient:in wissen sollten.

BoNT ist bei Erwachsenen in Deutschland offiziell zugelassen zur Behandlung von:

  • Zervikaler Dystonie (Schiefhals)
  • Blepharospasmus (Lidkrampf)
  • Spasmus hemifacialis (einseitige Gesichtszuckungen)
  • Spastik der Arme und Beine (z. B. nach Schlaganfall)
  • Chronischer Migräne
  • Übermäßigem Schwitzen unter den Achseln (primäre axilläre Hyperhidrose)
  • Übermäßigem Speichelfluss (Sialorrhoe)
  • Überaktiver Blase bei bestimmten neurologischen Erkrankungen (neurogene Blasenentleerungsstörung)

Wichtige Hinweise
Die hier vorgestellten Informationen dienen der ersten Orientierung. Ob eine Behandlung mit BoNT für Sie infrage kommt, sollte immer gemeinsam mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt besprochen werden. Dabei werden mögliche Vorteile, Risiken und Alternativen sorgfältig abgewogen.

Erkrankungen, bei denen BoNT helfen kann:

DYSTONIEN – UNWILLKÜRLICHE MUSKELVERKRAMPFUNGEN

Dystonie ist der medizinische Begriff für eine Bewegungsstörung, bei der sich Muskeln unwillkürlich und dauerhaft anspannen. Das führt zu krampfartigen Bewegungen, Fehlhaltungen oder Zuckungen. Dystonien können ganz unterschiedliche Körperbereiche betreffen – und BoNT kann bei vielen dieser Formen die wichtigste oder sogar einzige wirksame Behandlung sein.

Zervikale Dystonie (Schiefhals)

Hier ziehen bestimmte Nackenmuskeln den Kopf unwillkürlich zur Seite oder verdrehen ihn. Die Bewegungen können schmerzhaft sein und die Lebensqualität stark beeinträchtigen. BoNT ist hier die erste Wahl in der Therapie – es kann gezielt die überaktiven Muskeln entspannen.
Mögliche Nebenwirkungen: kurzzeitige Nackenschwäche, Schluckbeschwerden.

Blepharospasmus (Lidkrampf)

Die Augenlider schließen sich wiederholt oder dauerhaft, oft unkontrolliert – das kann das Sehen stark einschränken. BoNT entspannt die Lidmuskulatur und kann in den meisten Fällen rasche Linderung bringen.
Mögliche Nebenwirkungen: hängendes Lid, tränende Augen, Blutergüsse an der Einstichstelle, selten Doppeltsehen.

Spasmus hemifacialis (Gesichtszuckungen)

Bei dieser Erkrankung zucken Muskeln auf einer Gesichtshälfte unkontrolliert – meist beginnend rund ums Auge. BoNT kann die Zuckungen wirksam unterdrücken.
Mögliche Nebenwirkungen: vorübergehende Schwäche von Gesichtsmuskeln, z. B. beim Lächeln oder Blinzeln.

Mund-Kiefer-Dystonie

Hier sind die Kaumuskeln betroffen: Der Mund kann sich unkontrolliert öffnen, schließen oder verkrampfen – das erschwert das Essen, Sprechen oder sogar das Atmen. Die Behandlung mit BoNT kann helfen, obwohl sie nicht offiziell zugelassen ist. Die Entscheidung für die Behandlung mit BoNT erfolgt nach ärztlicher Prüfung und auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Mögliche Nebenwirkungen: Schluckstörungen, vorübergehende Sprechprobleme.

Laryngeale Dystonie (Spasmodische Dysphonie)

Diese Form betrifft die Kehlkopfmuskulatur, insbesondere die Stimmbänder. Die Stimme klingt dann heiser, gepresst, flüsternd oder stotternd. Sprechen wird anstrengend oder unverständlich. BoNT kann die betroffenen Muskeln gezielt beruhigen, oft in Kombination mit Stimmtherapie.

Tätigkeitsbezogene Dystonien (z. B. Schreibkrampf, Musikerdystonie)

Hier treten die Verkrampfungen nur bei bestimmten Aktivitäten auf, wie beim Schreiben oder Musizieren. Die Behandlung mit BoNT kann die störenden Bewegungen verringern – sie muss jedoch individuell sehr genau abgestimmt werden, da auch gesunde Bewegungsabläufe beeinflusst werden können.

CHRONISCHE MIGRÄNE

Bei chronischer Migräne treten an mehr als 15 Tagen im Monat Kopfschmerzen auf, davon mindestens 8 Tage mit typischen Migränesymptomen. Für viele Patient:innen, bei denen herkömmliche Medikamente nicht helfen oder schlecht vertragen werden, kann BoNT eine effektive und nebenwirkungsarme Alternative sein. Die Behandlung kann die Häufigkeit und Stärke der Migräneattacken deutlich senken.

SPASTIK (SPASTISCHE LÄHMUNG)

Spastik ist eine Bewegungsstörung mit erhöhter Muskelspannung, oft verbunden mit Lähmungserscheinungen. Sie entsteht z. B. nach einem Schlaganfall, bei Hirnschädigungen, Sauerstoffmangel oder angeborenen Erkrankungen. BoNT kann helfen, die Muskelverkrampfungen zu lösen und Bewegungen zu erleichtern – bei Erwachsenen und Kindern. Es ist dabei meist Teil eines umfassenden Therapiekonzepts.

ÜBERMÄSSIGES SCHWITZEN (PRIMÄRE HYPERHIDROSE)

Starkes Schwitzen – vor allem unter den Achseln – kann sehr belastend sein. BoNT kann die Nerven, die die Schweißdrüsen steuern, für mehrere Monate „ruhigstellen“. Die Behandlung ist gut verträglich und kann in vielen Fällen eine echte Erleichterung im Alltag sein.

ÜBERMÄSSIGER SPEICHELFLUSS (SIALORRHOE)

Einige neurologische Erkrankungen wie Parkinson, ALS oder Schlaganfälle führen zu vermehrtem Speichelfluss, weil das Schlucken beeinträchtigt ist. BoNT kann in die Speicheldrüsen gespritzt werden und dort die Produktion reduzieren, was sowohl Hygiene als auch Wohlbefinden verbessern kann.

ÜBERAKTIVE BLASE (NEUROGENE BLASENENTLEERUNGSSTÖRUNG)

Wenn die Blase sich zu oft oder plötzlich entleert, spricht man von einer überaktiven Blase – oft ausgelöst durch Erkrankungen des Nervensystems (z. B. Multiple Sklerose, Rückenmarksverletzungen). BoNT kann direkt in die Blasenwand gespritzt werden und kann helfen, den Harndrang zu kontrollieren. Die Behandlung wird durch spezialisierte Urolog:innen durchgeführt.

SELBSTHILFE UND UNTERSTÜTZUNG

Erkrankungen, bei denen BoNT eingesetzt wird, können sehr belastend sein – körperlich und seelisch. Der Austausch mit anderen Betroffenen ist oft hilfreich. Eine zentrale Anlaufstelle zur Suche nach Selbsthilfegruppen ist:

👉 NAKOS – Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen
www.nakos.de

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